An einem Teamevent in Wädenswil liefen diesen Sommer Angestellte einer Firma über glühende Kohlen. Der Anlass, der den Zusammenhalt des Teams stärken sollte, endete jedoch im Desaster: 31 Personen zogen sich beim «Feuerlaufen» Verbrennungen zu, 13 Personen mussten ins Spital.
Fragen wir doch den Unternehmergeist, was seine Erfahrungen mit solchen Events sind und ob diese tatsächlich einen positiven Einfluss auf das Arbeitsklima haben:
Liebe Leserin, lieber Leser
Dass man miteinander zu einem Abenteuer aufbricht, ist mittlerweile in vielen Firmen Teil der Personalentwicklung. Daraus ist eine ganze Industrie entstanden; Teamevents anzubieten, ist ein lukrativer Geschäftszweig. Das Angebot kennt keine Grenzen: Kajakfahren, eine Seilbrücke bauen, miteinander kochen, Kühe melken, Hufeisen werfen, einen Bagger steuern, Bogenschiessen und vieles mehr.
Chance
Jede dieser Tätigkeiten ist für mich als solche eine Chance. Beim Meistern von ungewohnten, scheinbar unüberwindbaren Aufgaben lerne ich, über mich selbst hinauszuwachsen, und inspiriere damit die Menschen aus meinem Umfeld. Was ein bisschen Risiko beinhaltet, macht auch mir Spass, schliesslich bin ich ja der Unternehmergeist.
Dass man als gemeinsames Erlebnis eine Art Mutprobe durchführt, ist sehr menschlich. Zweifellos lernt man persönlich auch etwas dabei, wenn man sich die Füsse verbrennt oder sich sonst einer Gefahr aussetzt. Der Spassfaktor steht aber bei Teamübungen klar im Vordergrund.
Die meisten Mitarbeitenden schätzen die Abwechslung zum Arbeitsalltag. Je nach ausgewähltem Spiel vereint es das Team. Die Kolleginnen lernen, sich aufeinander zu verlassen. Durch die veränderte Umgebung entstehen mitunter neue Ideen, etwa für die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz. Während der Auswertung des Events kann jeder Teilnehmer seine Eindrücke schildern. Diese «sichere» Umgebung für den Austausch kann sich anschliessend auch aufs Büro übertragen. Zudem verbessert Teambuilding die
Funktionsweise des gesamten Teams. Die Mitarbeitenden lernen in den Events ihre eigenen Stärken kennen und können ihr Rollenverständnis auf den Prüfstand stellen.
Risiko
Teambuilding ist jedoch kein Allheilmittel. Ein angenehmer Nachmittag ausserhalb des Büros verändert in den meisten Fällen nichts am Arbeitsalltag. Der Effekt verpufft zu schnell. Die Schwierigkeit besteht zudem darin, das in der Teamübung Gelernte auf die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz zu übertragen. Die Langzeitwirkung kann allenfalls grösser sein, wenn im Anschluss an das Event eine Auswertung stattfindet.
Während der gruppendynamischen Spiele kann es auch zu Streitigkeiten oder Diskussionen unter den Kollegen kommen. Eine Entscheidungsfindung kann dann schwerfallen. Weniger Aktive haben ausserdem die Gelegenheit, sich zurückzunehmen
und dominanteren Kollegen das Feld zu überlassen. Auch das kann sich kontraproduktiv auswirken. Wenn die Teams zu gross sind, müssen je nach Spiel kleinere Gruppen gebildet werden. Diese treten dann gegeneinander an, was der Teamentwicklung wiederum entgegensteht.
Die Rolle der Vorgesetzten
Oft dient ein Teamevent dazu, die Distanz zwischen Chef und Mitarbeitenden zu überwinden, die Hierarchie für einmal aufzulösen. Man geht dann zusammen Feuerlaufen oder lässt sich rückwärtsfallen, und das Team fängt einen auf; dies mit Heilsversprechen wie: «Gemeinsam Mut entwickeln », «Rückhalt der Kollegen spüren», «Grenzen überwinden », «innere Stärke hervorholen».
Ich hatte bei all diesen forcierten Events fast immer das Gefühl, dass die Chefs sagen wollten: Auch ich habe etwas für das Team gemacht.
Viele Mitarbeitende wollen jedoch gar nicht Kumpel des Chefs sein – sie werden aber beim Kajakfahren mit ihm quasi dazu gezwungen.
Um ein gutes Arbeitsklima zu erreichen, reicht es den meisten vollkommen, wenn der Chef sie anständig behandelt und freundlich ist. Dann ist in der Regel auch die Stimmung gut. Man muss dafür nicht extra ein Floss bauen, um dann zusammen einen Fluss zu überqueren.
Was wirklich zählt
Stattdessen wäre es für Chefs besser, die Türen offen zu lassen oder selber hinaus zu den Mitarbeitenden zu gehen, die Ohren für ihre Anliegen zu öffnen, möglichst gerechten und fairen Umgang zu fördern, ehrlich und offen zu kommunizieren, die Schwachen (z. B. bei Mobbing) zu schützen oder selber als Vorbild mit anzupacken.
In unseren Unternehmen sind Ideen gefragt, um den Mitarbeitenden die unersetzbar wichtige Wertschätzung zu zeigen: Warum nicht ein ganz persönliches und schön gestaltetes Geschenk zukommen lassen, oder noch besser, einen handgeschriebenen Anerkennungsbrief schreiben? Es geht auch ein einfaches «Danke» für eine Aufgabe, die trotz der vielen To-dos noch schnell dazwischengeschoben wurde oder für die zigste Überstunde, die mal wieder unentgeltlich geleistet wurde.
Oder wie wäre es mit einem «Gut gemacht!» für ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt?
Du wirst sehen, es wirkt Wunder und der Zusammenhalt im Team wird mit echter Wertschätzung automatisch stärker!
Der Unternehmergeist und das Feuerlaufen (PDF)
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