Lieber Leser, liebe Leserin
Heute beginne ich mit einem arabischen Sprichwort:
«Sich über jemanden zu ärgern bedeutet, sich für die Fehler anderer Leute zu bestrafen.»
Der Unternehmergeist stellte in der letzten Zeit leider fest, dass Fakten in Debatten immer unwichtiger werden – Gefühle entscheiden. Wer so argumentiert, will rücksichtsvoll erscheinen. Gefühle sind zur neuen harten Währung geworden, so diffus und schlecht fassbar sie auch sein mögen. Es ist der Siegeszug der Gschpürschmi- Rhetorik mit einem vermeintlichen Psychologie-Jargon, über den wir anfangs lachten, der sich aber längst auch in der Arbeitswelt («Wie fühlen Sie sich?») ausgebreitet hat.
Emotionen als Waffe
Es mag nett und harmlos klingen, wenn ein Satz mit «Ich empfinde» beginnt. Dabei ist das Vorschieben von Gefühlen längst zum Totschlägerargument geworden, welches ein Gegenüber hilflos macht. Nichts lähmt Widerspruch derart effizient wie die Waffe der Emotionen. Wenn damit in einer Runde oder einer Verhandlung argumentiert wird, erstarren alle, bis hinauf zur Chefin. Emotionen kann man bekanntlich nicht kritisieren, es
lässt sich auch schlecht darüber streiten. Wer möchte schon einer zartbesaiteten Person an den Karren fahren? Wie könnte man auch jemandem sagen wollen, was er oder sie zu empfinden hat? Wer würde es wagen, eine seelische Regung offen anzuzweifeln?
Diskussionskurs
Ich habe in meiner Praxis dazu folgende Erfahrungen gemacht, welche ich gerne mit dir teile:
Wenn dein Verhandlungspartner gerade erzählt hat, wie er sich fühlt, antwortest du nicht einfach mit «aber». Durch das Widersprechen greifst du deinen Kunden / deine Mitarbeiterin an und niemand mag es, wenn seine eigene Meinung direkt für falsch abgetan wird.
Konstruktiver ist in diesem Fall «ja … und …», oder «ich verstehe … und». Diese Reaktion zeigt nämlich, dass du zugehört hast und Verständnis für die Gefühle deines Gegenübers hast. So nimmst du ihm automatisch den Wind aus den Segeln.
Falsch:
Kunde: Ich empfinde Ihr Produkt als zu teuer.
Du: Aber Qualität hat eben ihren Preis.
Damit ist eine Diskussion vorprogrammiert und dein
Kunde fühlt sich missverstanden.
Besser:
Ja, ich kann verstehen, dass Sie einen guten Preis haben wollen. Bei dieser Qualität ist der Preis mehr als fair.
So einfach kannst du zeigen, dass die Emotionen deines Gesprächspartners nachvollziehbar sind, und trotzdem hast du die Möglichkeit, deinen Standpunkt klar und ruhig zu vertreten.
Falsch:
Mitarbeiterin: Ich empfinde das Arbeitsklima in der Firma als unangenehm und ungenügend.
Du: Du schon wieder!
Besser:
Ja, und wie könnte die Lösung aussehen – und was brauchst du, um diese umzusetzen?
Nutze in Gesprächen zu Konflikten gezielt offene Fragen, also solche, die mit Fragewörtern wie «Was», «Wann» oder «Wie» beginnen. Offene Fragen führen zu klaren, ausführlichen Antworten. Vermeide dabei jedoch Fragen, die mit «Warum», «Wieso», «Weshalb» beginnen. Diese führen meist dazu, dass Menschen sich zu einer Rechtfertigung gedrängt fühlen.
In festgefahrenen und emotionsgeladenen Verhandlungen lohnt es sich ausserdem manchmal, die Perspektive zu wechseln. Versuche, die Verhandlung nicht von innen, sondern aus der Vogelperspektive zu betrachten. Dadurch erhältst du einen besseren Überblick über die Situation und nimmst etwas Abstand von jeglichen Emotionen. So gelingt es dir auch, die Interessen deiner Verhandlungspartner leichter zu durchschauen und entsprechend darauf einzugehen.
Viele versuchen, Emotionen zu ignorieren. Viel schlauer ist es jedoch, gezielt mit ihnen zu arbeiten.
Es ist wichtig, sich bewusst mit der Gschpürschmi-Rhetorik auseinandersetzen und sie in Verhandlungen und Konfliktgesprächen gezielt einzusetzen, um erfolgreich zu kommunizieren und eine Lösung zu finden.
Zurück zum arabischen Sprichwort, das ich zu Beginn erwähnt habe: Ich finde, es betont die Bedeutung von Gelassenheit im Umgang Menschen und neuen Situationen. Es legt nahe, dass Ärger über andere Menschen (Emotionen) mir selbst schaden, anstatt die Situation zu verbessern.
Ich denke, es ist besser, ruhig und nachsichtig zu bleiben, anstatt sich von den Fehlern oder Manipulationsversuchen anderer Menschen beeinflussen zu lassen und sich dadurch selbst zu bestrafen.
Der Unternehmergeist und die «Gspürschmi»- Rhetorik (PDF)
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